„Milima
haikutani, lakini binadamu hukutana“
„Berg
und Tal kommen nicht zusammen, aber Menschen“
Tansanisches Sprichwort
Woche
für Woche besuchen Melissa und ich zusammen mit einer Schwester die
einheimische Bevölkerung von Mtwara und ich bin jedes Mal aufs Neue
überwältigt, wie einfach die Menschen doch leben. Alles was sie
besitzen - und das ist wirklich nur das Nötigste - kann man meist in
einer Lehmhütte vorfinden. Für mich als Deutsche sieht es nach
wenig aus, doch es ist ausreichend. Ausreichend... um eine Familie zu
ernähren, um glücklich zu sein. Doch was ist eigentlich
„ausreichend“? Muss man in unserem Überfluss leben um von
ausreichend sprechen zu können? Die Menschen leben sichtbar einfach
und doch so glücklich. Ein Zustand, den man in Deutschland nicht so
oft finden kann.
Während
in Deutschland sich Jeder inklusive Eigentum versichern kann,
können die Menschen hier nur darauf hoffen, dass ihr Hab und Gut die
nächste Regenzeit, den nächsten Sturm, die nächste Generation
überlebt.
Überall
wo man hinsieht, sieht man dunkle, strahlende Kinderaugen und auch
viele ältere Menschen, deren Gesicht Zufriedenheit, Erfahrungen und
Erlebnisse ausdrücken. Dieser Anblick macht mich glücklich und doch
auch nachdenklich...
Doch wie
soll eine Person, die in einem Klima von staatlicher Absicherung
aufgewachsen ist, begreifen, wie wichtig Großfamilie und Kinder als
Altersvorsorge sind? Wie sollen wir, die selbst in einer Welt groß
geworden sind, in der Individualität, Freiheit und
Gleichberechtigung als oberste Prinzipien gelten, auch nur im
Entferntesten nachvollziehen, was es heißt, autoritätshörig und
hierarchiebestimmt zu leben?
Die ein
oder anderen mögen denken: Warum so viele Kinder, wenn nicht einmal
das nötige Geld für das eigene Wohl vorhanden ist? Doch hier leben
die Menschen mit anderen Perspektiven. Hier gibt es kein Altenheim,
keine Rente, keinen mobilen Pflegedienst... hier lebt eine Generation
von und für die andere – und das funktioniert super!
Wer sagt
uns, dass unsere Gesellschaftsform, der menschliche Umgang und unsere
Art des Lebens das Maß aller Dinge ist? Während der Großteil in
Deutschland es zu Emanzipation, vergleichsweise hohen Wohlstand und
einer relativen Sicherheit gebracht haben, steht Afrika weit hinter
uns – so sehen zumindest wir das. Wer gibt uns das Recht für diese
Sichtweisen? Arbeiten bis zum Burn-Out, Zukunftsvorsorge,
Existenzsicherung oder Pünktlichkeit werden als Tugenden und als
Maßstäbe für einen „guten“ Menschen gehandelt..
Ich
möchte meine Zeit hier nutzen um mein eigenes Weltbild zu erweitern,
meine Sichtweisen zu überdenken und zu hinterfrage. Wir sind alle
Menschen wie du und ich und doch ist jeder auf seine eigene Art ein
Individuum. Ich bin wirklich sehr dankbar diesen Weg gehen zu dürfen
und insbesondere für jede einzelne Begegnung, jedes Erlebnis und
jede Erfahrung auf dem mir zuvor fremden Kontinent. Jeder Schritt den
ich hier gehe, wird meinen eigenen Lebensweg und meine eigenen
Blickwinkel sicherlich prägen...
Afrikaner
sind für manche Europäer bestenfalls hilflose Kinder, denen man
zeigen muss, wie das Leben funktioniert. Doch auch wir könnten uns
viel von der Mentalität, der Kultur und Lebensweise der Tansanier
abschauen.
Dank den
lieben Spendern aus Deutschland ist es uns möglich, die
Einheimischen zu unterstützen. Sie sind dankbar für jede
Unterstützung, aber dennoch sollte es auch nur eine Hilfe zur
Selbsthilfe sein.. Zwei bis dreimal im Monat bringen wir Reis, Bohnen
oder Mehl in kleinen Portionen bei unseren Besuchen mit. Der Grad
zwischen Hilfe und Abhängigkeit ist sehr schmal und deshalb sind wir
sehr darauf bedacht den Menschen zu vermitteln, dass wir sie
lediglich unterstützen wollen. Sie selbst sind für ihr Leben, ihre
Familie, ihr Essen und ihr Tun verantwortlich.
Wenn man
bedenkt welchen Knochenjob die Tansanier für ihr doch
verhältnismäßig weniges Geld erledigen müssen wundert es mich
nicht, dass ein Großteil der Bevölkerung unter- und mangelernährt
ist. Die Größe der Familien macht dieses Problem natürlich nicht
geringer. Viele Familien haben ihren Eigenanbau von Tomaten, Mais und
typisch tansanischem Gemüse und sind stark abhängig von Regenzeiten
und der Ernte.
Während
wir mal schnell in den nächstbesten Supermarkt hetzen müssen die
Menschen hier rationieren und sparsam leben – sehr sogar. Wenn ich
das Leben hier in Tansania mit meinem Leben in Deutschland
vergleiche, muss ich mich doch teilweise schämen. Was bedeutet für
uns Essen? Wie oft sieht man Essensreste in Abfallbehältern? Ist für
uns das Einkaufen nicht schon fast eine Last? Schaut man sich in den
deutschen Städten um, kann man Menschen beobachten, die während sie
die nächste Straßenbahn erreichen wollen, sich noch schnell etwas
in den Mund schieben. Zwischen Tür und Angel wird mal eben kurz
gegessen. Termine, Zeitdruck, Leben im Überfluss... das ist das, was
unser Leben beherrscht. Wo bleibt unsere bewusste Wahrnehmung? Wir
sitzen noch am Frühstücktisch und planen schon, ob wir mittags
lieber Nudeln oder Klöße essen wollen – oder lieber beides? In
Tansania fragt man sich hingegen, ob man überhaupt etwas essen
sollte oder ob nicht eine Mahlzeit am Tag genug ist und man sich nicht lieber noch etwas aufbewahren sollte.
Ist das nicht
traurig? …
Du
weißt, dass du dir nicht vorstellen kannst, wie es in Afrika ist,
also stellst du es dir erst gar nicht vor. Und dann bist du unten und
es ist ganz anders, als du es dir nicht vorgestellt hast.
-Hubert
von Goisern-