Mittwoch, 20. Februar 2013

Unterschiede



Milima haikutani, lakini binadamu hukutana“
„Berg und Tal kommen nicht zusammen, aber Menschen“
Tansanisches Sprichwort
 

Woche für Woche besuchen Melissa und ich zusammen mit einer Schwester die einheimische Bevölkerung von Mtwara und ich bin jedes Mal aufs Neue überwältigt, wie einfach die Menschen doch leben. Alles was sie besitzen - und das ist wirklich nur das Nötigste - kann man meist in einer Lehmhütte vorfinden. Für mich als Deutsche sieht es nach wenig aus, doch es ist ausreichend. Ausreichend... um eine Familie zu ernähren, um glücklich zu sein. Doch was ist eigentlich „ausreichend“? Muss man in unserem Überfluss leben um von ausreichend sprechen zu können? Die Menschen leben sichtbar einfach und doch so glücklich. Ein Zustand, den man in Deutschland nicht so oft finden kann.
 
Während in Deutschland  sich Jeder inklusive Eigentum versichern kann, können die Menschen hier nur darauf hoffen, dass ihr Hab und Gut die nächste Regenzeit, den nächsten Sturm, die nächste Generation überlebt.

Überall wo man hinsieht, sieht man dunkle, strahlende Kinderaugen und auch viele ältere Menschen, deren Gesicht Zufriedenheit, Erfahrungen und Erlebnisse ausdrücken. Dieser Anblick macht mich glücklich und doch auch nachdenklich...
Doch wie soll eine Person, die in einem Klima von staatlicher Absicherung aufgewachsen ist, begreifen, wie wichtig Großfamilie und Kinder als Altersvorsorge sind? Wie sollen wir, die selbst in einer Welt groß geworden sind, in der Individualität, Freiheit und Gleichberechtigung als oberste Prinzipien gelten, auch nur im Entferntesten nachvollziehen, was es heißt, autoritätshörig und hierarchiebestimmt zu leben?


Die ein oder anderen mögen denken: Warum so viele Kinder, wenn nicht einmal das nötige Geld für das eigene Wohl vorhanden ist? Doch hier leben die Menschen mit anderen Perspektiven. Hier gibt es kein Altenheim, keine Rente, keinen mobilen Pflegedienst... hier lebt eine Generation von und für die andere – und das funktioniert super!

Wer sagt uns, dass unsere Gesellschaftsform, der menschliche Umgang und unsere Art des Lebens das Maß aller Dinge ist? Während der Großteil in Deutschland es zu Emanzipation, vergleichsweise hohen Wohlstand und einer relativen Sicherheit gebracht haben, steht Afrika weit hinter uns – so sehen zumindest wir das. Wer gibt uns das Recht für diese Sichtweisen? Arbeiten bis zum Burn-Out, Zukunftsvorsorge, Existenzsicherung oder Pünktlichkeit werden als Tugenden und als Maßstäbe für einen „guten“ Menschen gehandelt..
 

Ich möchte meine Zeit hier nutzen um mein eigenes Weltbild zu erweitern, meine Sichtweisen zu überdenken und zu hinterfrage. Wir sind alle Menschen wie du und ich und doch ist jeder auf seine eigene Art ein Individuum. Ich bin wirklich sehr dankbar diesen Weg gehen zu dürfen und insbesondere für jede einzelne Begegnung, jedes Erlebnis und jede Erfahrung auf dem mir zuvor fremden Kontinent. Jeder Schritt den ich hier gehe, wird meinen eigenen Lebensweg und meine eigenen Blickwinkel sicherlich prägen...

Afrikaner sind für manche Europäer bestenfalls hilflose Kinder, denen man zeigen muss, wie das Leben funktioniert. Doch auch wir könnten uns viel von der Mentalität, der Kultur und Lebensweise der Tansanier abschauen.

Dank den lieben Spendern aus Deutschland ist es uns möglich, die Einheimischen zu unterstützen. Sie sind dankbar für jede Unterstützung, aber dennoch sollte es auch nur eine Hilfe zur Selbsthilfe sein.. Zwei bis dreimal im Monat bringen wir Reis, Bohnen oder Mehl in kleinen Portionen bei unseren Besuchen mit. Der Grad zwischen Hilfe und Abhängigkeit ist sehr schmal und deshalb sind wir sehr darauf bedacht den Menschen zu vermitteln, dass wir sie lediglich unterstützen wollen. Sie selbst sind für ihr Leben, ihre Familie, ihr Essen und ihr Tun verantwortlich.

Wenn man bedenkt welchen Knochenjob die Tansanier für ihr doch verhältnismäßig weniges Geld erledigen müssen wundert es mich nicht, dass ein Großteil der Bevölkerung unter- und mangelernährt ist. Die Größe der Familien macht dieses Problem natürlich nicht geringer. Viele Familien haben ihren Eigenanbau von Tomaten, Mais und typisch tansanischem Gemüse und sind stark abhängig von Regenzeiten und der Ernte.
 
Während wir mal schnell in den nächstbesten Supermarkt hetzen müssen die Menschen hier rationieren und sparsam leben – sehr sogar. Wenn ich das Leben hier in Tansania mit meinem Leben in Deutschland vergleiche, muss ich mich doch teilweise schämen. Was bedeutet für uns Essen? Wie oft sieht man Essensreste in Abfallbehältern? Ist für uns das Einkaufen nicht schon fast eine Last? Schaut man sich in den deutschen Städten um, kann man Menschen beobachten, die während sie die nächste Straßenbahn erreichen wollen, sich noch schnell etwas in den Mund schieben. Zwischen Tür und Angel wird mal eben kurz gegessen. Termine, Zeitdruck, Leben im Überfluss... das ist das, was unser Leben beherrscht. Wo bleibt unsere bewusste Wahrnehmung? Wir sitzen noch am Frühstücktisch und planen schon, ob wir mittags lieber Nudeln oder Klöße essen wollen – oder lieber beides? In Tansania fragt man sich hingegen, ob man überhaupt etwas essen sollte oder ob nicht eine Mahlzeit am Tag genug ist und man sich nicht lieber noch etwas aufbewahren sollte.
Ist das nicht traurig? …


Du weißt, dass du dir nicht vorstellen kannst, wie es in Afrika ist, also stellst du es dir erst gar nicht vor. Und dann bist du unten und es ist ganz anders, als du es dir nicht vorgestellt hast.
-Hubert von Goisern-

1 Kommentar:

  1. Hallo Jenny,

    ich bin beeindruckt von Deinen Berichten... vor allem vom aktuellen, der weit über eine Situationsbeschreibung hinaus geht.

    Ja, es ist in der Tat so, wie Du es beschrieben hast... je weniger die Menschen haben, desto glücklicher sind sie oft; das habe ich in so manchen Urlauben bereits feststellen dürfen.

    Bei uns gibt es den Spruch vom "Jammern auf hohem Niveau"... der ist nur allzu wahr...

    Ich wünsche Dir weiter viele Erfahrungen... die Zeit in Tansania wird Dich prägen, wie keine Zeit vorher in Deinem Leben.
    Nutze die Zeit, um Dir weiter ein Bild vom Leben in der Welt aufzubauen.

    Liebe Grüße,

    Onkel Jürgen

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