Donnerstag, 11. April 2013

Hilf mir, es selbst zu tun!

Erziehung ist Vorbild sein und sonst nichts als Liebe. - Maria Montessori

In den beiden Kindergärten der Erlöserschwestern, in denen wir tätig sind, wird nach der Montessori-Pädagogik – welche in Tansania sehr beliebt ist - gearbeitet. Alle Kinder tragen eine einheitliche Uniform, denn hier soll der Wohlstand der Eltern keine Rolle spielen. Die Mädchen tragen ein Kleid, die Jungen eine Hose und auch wir tragen – so wie fast alle afrikanischen Frauen – einen Rock im Kindergarten. Leider muss man dennoch sagen, dass auf Grund von finanziellen Nöten vielen Kindern in Tansania der Besuch des Kindergartens nicht ermöglicht werden kann. Vielen Menschen bleibt die Chance auf Bildung immer noch verwehrt. Die kleinen, stolzen Besucher sind im Durchschnitt zwischen 3 und 6 Jahre alt und somit ist das „Lernen von den Großen“, das Helfen und das "Abschauen" gewährleistet. Die Kleineren eifern den Großen nach, während diese stolz sind als Vorbild fungieren zu können. Dennoch steckt in jedem Kind ein „persönlicher Bauplan“, nachdem sich seine Entwicklung vollzieht.

Auch in Deutschland ist mittlerweile "Montessori" sowohl im Kinder- als auch im Schulbereich ein weit verbreiteter Begriff, wobei die "normalen" Kindergärten und Schulen noch stark in der Überzahl sind.
Es ist ein deutlicher Unterschied zu unseren "üblichen" Kindergärten zu erkennen, in denen Lernen und Wissen nicht im Vordergrund stehen, sondern soziale Kompetenzen, Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit und Kreativität. Auch der Betreuungsschlüssel ist ein ganz anderer. Es ist ein ziemlich interessanter Einblick in einem Kindergarten, dessen Erziehungsstil auf der Pädagogik von Maria Montessori basiert und sehr autoritär scheint, mitwirken zu dürfen und obwohl ich manchen Situationen mit gemischten Gefühlen gegenüberstehe, ist es doch wichtig die Kontraste erleben zu dürfen.

Seit nun mehr sieben Monaten versuche ich hinter die Thematik der Montessori-Pädagogik nach Maria Montessori zu blicken und doch bietet mir diese Arbeitsweise täglich neue Herausforderungen. Von dem Ablauf eines Kindergartentages und dessen Strukturen hatte ich euch bereits in einem meiner Blogeinträge berichtet. Nun möchte ich versuchen einen kleinen Einblick in diese vielseitige Methode, welche Kindern viel Freiraum lässt und meinen Arbeitsalltag bestimmt, zu geben.

Maria Montessori sagt, dass alle Kinder von sich aus neugierig, wissbegierig und lernwillig sind. Nun ist es unsere Aufgabe, den Kindern hilfreich zur Seite zu stehen, Geduld zu haben und zu akzeptieren, „wann”, „wie” und in gewisser Hinsicht auch „was” jedes einzelne Kind lernen will. - Auch das muss erst einmal gelernt sein.

Freiarbeit ist das Zauberwort und Kernstück. Aber auch Wertschätzung und Achtung vor dem Kind sind dabei von zentraler Bedeutung. Es gibt kein „Programm”, das alle Kinder durchlaufen, sondern Angebote, die auf das jeweilige Alter und die Entwicklung des Kindes abgestimmt sind und aus denen jedes Kind selbst auswählen kann. Die angehenden Schulkinder beschäftigen sich hauptsächlich mit dem Schreiben, Rechnen und Lesen, während die Jüngeren sich mit den verschiedenen Materialien auseinandersetzen. Im Gegensatz zu Deutschland wird in Tansania vorausgesetzt, dass die Kinder bei Schulantritt bereits all diese Fertigkeiten erlernt haben. Hierbei kommen die vielseitigen Materialien meist nur im Anfangsstadium zum Einsatz, bevor es dann „auf dem Papier“ weitergeht.
  
Die Materialien bieten die Möglichkeiten mit allen Sinnen zu lernen und bieten viel Platz für Kreativität, Eigenständigkeit und Verknüpfungen zwischen verschiedenen Materialien. Für mich ist der Umgang und der Hintergedanke des Materials immer wieder spannend, neu und einzigartig. Jedes Kind kann individuell gefordert und gefördert werden.
Besonders bemerkenswert finde ich, dass ein Schwerpunkt dieser Methodik auf dem Erlernen von „Alltagsdingen“ liegt, welche in Deutschland meist vom Elternhaus mitgegeben werden (sollten) ... Wie öffne und schließe ich leise eine Tür? Wie trage ich einen Stuhl? Wie gehe ich mit der Schere um? Wie schließe ich einen Reißverschluss?

Die oberste Regel im Kindergarten lautet: "Meine Freiheit endet da, wo deine Freiheit beginnt.“ Deshalb gehören zu der Montessori-Pädagogik selbstverständlich auch Regeln, Grenzen und Ordnung. Die Kinder können entweder alleine oder in Gruppen arbeiten. Durch die eigenen Teppiche wird der eigene Spielraum und der des Anderen für jeden sichtbar. Außerdem ist es sehr wichtig, eine ruhige und angenehme Atmosphäre während der Arbeitszeit zu schaffen. Die Kinder sollen die Möglichkeit haben, diese Zeit intensiv für sich nutzen zu können.
 
Das Montessori-Material, die kindgerechte Darstellung der Angebote und wir, die Erzieherinnen helfen den Kindern sich zu entscheiden. Besonders wichtig für die Kinder ist, dass alle Montessori-Materialien auf ihrer Augenhöhe stehen. Jedes Material ist nur einmal verfügbar und somit ein Einzelstück, welches bereits während der 2-jährigen Ausbildung zur Erzieherin eigens angefertigt wird. Mehrmals wöchentlich basteln, schneiden, kleben und malen auch wir zusammen mit den Schülerinnen und unter Anleitung der Erzieherinnen an der Entstehung dieser Materialien. Ordnung und klare Strukturen sind im Klassenraum und im Umgang mit den Arbeitsmaterialien sehr bedeutsam und es wird stets darauf geachtet, dass jedes Material an seinen Platz zurück gebracht wird. Die Materialien sind in folgende Bereiche unterteilt:

Material für die Übungen des täglichen Lebens:
z.B. Wasser von einem Gefäß in ein weiteres Gefäß schütten
Sinnesmaterial:
z.B. Gewichte: Unterscheidung von Dimensionen
Schreib- und Lesematerial:
z.B. Buchstaben legen: Vorbereitung aufs Schreiben
Mathematisches Material:
z.B. Hunderterbrett: Übungen mit den Zahlen 1 – 100
Kosmisches Material:
z.B. Geographiepuzzle

Das Kind bestimmt sowohl den Arbeitsrhythmus, als auch die Beschäftigungsdauer und kann sich jeder Zeit eine Auszeit nehmen. Es ist wichtig, die Kinder so in den sachgemäßen Umgang mit den Materialien einzuweisen, dass das Interesse daran geweckt wird und das Kind selbstständig weiterarbeiten kann. Die Kinder lernen damit letztendlich auch Verantwortung für sich selbst und für die Gemeinschaft zu entwickeln. Gerade hier kommen mir meine mangelnden Kiswahili-Kenntnisse leider des Öfteren in die Quere. Und auch ich bin in den Bereichen „Montessori-Pädagogik“ und „Kiswahili“ ein Kind, welches auf die einfühlsame Art und die Hilfsbereitschaft der Anderen angewiesen ist. Sowohl mein Leben, als auch meine Arbeit und mein Wirken hier basiert auf einem stetigen Geben und Nehmen. Daher kommt mir die Hilfe, Anleitung und Geduld der Erzieherinnen und auch der Racker wirklich zu Gute.
 
Was man nehmen will, muss man erst richtig geben. - Laotse, Tao Te King, Zensho W. Kopp
 
Die Arbeit mit den Kindern bereichert mich sehr und macht mir viel Spaß. Jeden Tag merke ich, dass ich im Umgang mit den Materialien immer vertrauter werde und das gibt mir Sicherheit. Sicherheit, im Bezug auf mein Handeln. Sicherheit, im Bezug auf meine Arbeit. Sicherheit, im Bezug auf die kleinen Räuber, die mir sehr am Herzen liegen. Sie sind ganz besondere Menschen und sie sind die Zukunft Tansanias. Ich genieße jeden Augenblick mit den Kindern und bin berührt, welch Liebe, Zuneigung und Dankbarkeit sie mir entgegen bringen...
 
Sie sind diejenigen, die mir das Gefühl geben zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Sie sind diejenigen, die mein Weltfreiwilligenjahr zu etwas ganz Wertvollem machen. Sie sind diejenigen, die alleine mit ihrem Lachen meinen Tag zu etwas Besonderem machen. Sie sind diejenigen, die mich manchmal an meine Grenzen bringen. Sie sind diejenigen, die mit mir über meine Fehler und Missgeschicke schmunzeln. Sie sind diejenigen, die mir Momente schenken, die unbezahlbar sind. Sie sind diejenigen, die mich mögen wie ich bin. Sie sind diejenigen, die mich zum Lachen bringen. - Ich danke Euch!


Zahlen-Sandtafeln
Ordnung ist das halbe Leben
Farbkarten
Umschütten

Geographie

Dimensionen

Gruppenarbeit

Auffädeln von Flaschendeckeln

Schreibübungen

Heranführen an die Materialien durch eine Erzieherin

Dimensionen

Teamarbeit - Lesen

Setzkasten
erste Schreibversuche

Schreiben auf der Tafel

Geographie

Hilf mir, es selbst zu tun.
Zeige mir, wie es geht.
Tu es nicht für mich.
Ich kann und will es allein tun.
Hab Geduld meine Wege zu begreifen.
Sie sind vielleicht länger, vielleicht brauche
ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche
machen will.
Mute mir Fehler und Anstrengung zu,
denn daraus kann ich lernen.
- Maria Montessori-

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen